Kurzerklärung des Konzepts der Abwertungen (Discounts) aus der Transaktionsanalyse
Jeder Mensch bewertet jeden Tag, jede Minute, fast immer. In der Regel sind wir uns dessen nicht bewusst. Wir bewerten nicht nur unsere eigene Leistung beim Sport oder unser Müsli, sondern auch Probleme, Bedürfnisse oder Gefühle. Beim Bewerten folgen wir unseren persönlichen Mustern. Manches werten wir stark auf, zum Beispiel den Partner, in den wir frisch verliebt sind. Andere Dinge werten wir stark ab, zum Beispiel unsere eigenen Chancen, die Führerscheinprüfung zu bestehen, oder unser Verständnis für Mathematik.
Doch wie und warum werten wir eigentlich auf oder ab? Gibt es ein passendes Maß? Neigen wir zu Unter- oder Übertreibungen? Haben andere realistischere Einschätzungen und Bewertungen?
In der Transaktionsanalyse gehen wir davon aus, dass jeder Mensch eine Innenwelt hat, die mit keiner anderen identisch ist. Diese Innenwelt nennen wir Bezugsrahmen. Das ist unser individueller Maßstab, der unsere Sicht auf uns selbst, auf andere Menschen und die Welt im Allgemeinen bestimmt. Er hilft uns, Urteile zu fällen. In diesem Bezugsrahmen sind Erinnerungen, objektive Informationen, Glaubenssätze, falsche und richtige Informationen und viele Erfahrungen gespeichert. Habe ich beispielsweise den Glauben verinnerlicht, dass Frauen schlechter Autofahren können, ist das in meinem Bezugsrahmen gespeichert, auch wenn diese Einschätzung möglicherweise alt oder falsch ist.
Wichtig zu wissen ist, dass wir unseren Bezugsrahmen beibehalten wollen, denn dieser gibt uns Stabilität, Sicherheit und Integrität. Der Bezugsrahmen enthält unser gesamtes Wertegefüge und stiftet Identität, wobei die Statik unserer Identität unangetastet bleiben soll. Das Wertegefüge ist das statische Gerüst für unseren Bezugsrahmen.
Für uns als Person ist die Abwertung besonders problematisch. Die Formulierung „etwas kleinreden“ gibt einen Hinweis darauf. Die übersteigerten Aufwertungen, wie etwa „die Führerscheinprüfung ist extrem schwer“, sind in der Regel an Abwertungen unserer Fähigkeiten gekoppelt. Einerseits hilft uns der Bezugsrahmen, Wertungen zu treffen, andererseits werten wir Dinge so ab, dass sie dem Bezugsrahmen nicht widersprechen. So schätzt eine Frau mit dem Glauben „Frauen können schlechter Autofahren“ ihre Chancen, die Führerscheinprüfung zu bestehen, als schlecht ein. Würde sie sich gute Chancen einräumen, wäre sie eine gute Autofahrerin, und das widerspräche ihrem Glauben im Bezugsrahmen.
Die Vielschichtigkeit der Abwertung möchte ich an einem Beispiel erläutern. Schauen wir uns Max an. Immer wenn Max vor einer Herausforderung steht, die er als unüberwindlich aufbläht, wird er sehr aktiv. Denken wir zum Beispiel an den Führerschein mit der dazugehörenden Prüfung. Eigentlich würde er schon gerne Autofahren können. Max aber sucht sich alle möglichen anderen Aktivitäten, versucht mehrere Vorhaben gleichzeitig zu erledigen und beginnt viele parallele Handlungen. Zielführend für den Führerschein ist keine davon, und sein eigentliches Problem verdrängt er oder verliert es gar aus den Augen. Diese Herangehensweise der Vermeidung ist unbewusst und fest in seinem Bezugsrahmen verankert.
Max wertet dabei eine ganze Menge ab. Da sind die Reize, die auf sein Problem hindeuten, zum Beispiel das Gefühl der Überforderung, das Problem selbst, dass er sich seinen Herausforderungen nicht stellt, und mögliche Alternativen, wie sich einen strukturierten Plan zu erstellen. Da Max nicht einmal merkt, dass er Angst vor der Führerscheinprüfung hat, wertet er als erstes schon die Reize ab. Infolgedessen auch das Problem und die Alternativen.
Wenn man Max als Freund oder Berater helfen möchte, wäre zu beachten, auf welcher Stufe der Abwertung Max einzuordnen ist:
- Die Existenz von etwas kann abgewertet werden, zum Beispiel die Existenz des Wunsches, den Führerschein haben zu wollen.
- Die Bedeutung von etwas kann abgewertet werden, zum Beispiel erkennt Max zwar den Wunsch, aber er glaubt, dies habe keine Bedeutung für sein Leben.
- Die allgemeine Änderbarkeit von etwas kann abgewertet werden, zum Beispiel ist Max hoffnungslos. Er weiß, dass er ein Problem hat, sieht aber nicht, dass es sich ändern lässt.
- Die persönliche Fähigkeit von jemandem kann abgewertet werden, zum Beispiel glaubt Max, dass es eine gute Lösung wäre, strukturierte Pläne zu machen, zu üben und Probeprüfungen durchzuführen, aber er sieht sich selbst dazu nicht in der Lage.
Möchtest du Max helfen, wäre es wichtig, die Hierarchie und Reihenfolge der Stufen zu beachten. Würdest du zum Beispiel zu Max sagen: „Mach dir doch mal strukturierte Pläne, dann kommst du besser voran“, aber wenn Max noch leugnet, dass er sich überhaupt überfordert fühlt, wird er den Vorschlag nicht annehmen können. Man beginnt also auf der Stufe, auf der Max wirklich steht, meist auf der Stufe des ersten Bereichs: der Existenz des Reizes. Max muss sich als erstes mit dem Wahrnehmen des Überforderungsgefühls beschäftigen.
Ergänzend ist es wichtig zu wissen, dass Max eine unbewusste Strategie von vier möglichen verfolgt, um sich nicht mit seinen Problemen auseinanderzusetzen bzw. sie nicht effektiv zu bearbeiten. Diese Strategien sind im Konzept der Passivität festgehalten. Aber Max ist ja gar nicht passiv. Er ist sogar sehr aktiv und macht tausend Sachen, oder? Das stimmt, aber Passivität bedeutet nicht nur, nichts zu tun. Passivität kann sich auf vier Ebenen zeigen, die alle gemeinsam haben, dass man sich nicht mit einem Problem auseinandersetzen muss:
- Nichts tun: Man wird mit einem Problem konfrontiert und es gibt Handlungsmöglichkeiten, aber getan wird nichts. Das ist die Passivität, wie man sie im alltäglichen Sinne erwarten würde.
- Überanpassung: Man zeigt sich gegenüber anderen sehr willig und angepasst in Bezug auf deren Ziele, auch wenn diese mit den eigenen nicht viel zu tun haben. Man ist brav, tut aber nichts zur Problemlösung.
- Agitation: Es wird viel Aktivität und vielerlei Verhaltensweisen gezeigt, die aber nicht zielführend sind. Hier würden wir Max einordnen.
- Handlungsunfähigkeit und Gewalt: Anstatt ein Problem zu lösen, wird zum Beispiel eine Selbstverletzung durchgeführt, um sich mit dem Problem nicht befassen zu müssen.
All diese Formen der Passivität werten ab. Sie werten ab, dass man die persönliche Fähigkeit hat, das Problem zu lösen, oder dass es Alternativen gibt. Gleichzeitig sorgen sie dafür, dass der Bezugsrahmen stabil bleibt. Denn Passivität führt dazu, dass wir keine neuen Erfahrungen machen. Es ändert sich nichts.
Am Beispiel von Max haben wir gesehen, dass Abwertung uns daran hindert, Probleme zu lösen und unseren Bezugsrahmen weiterzuentwickeln. Es lohnt sich, die eigenen Abwertungen zu erkennen und zu hinterfragen.
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