Von Bernd Taglieber
Wenn etwas neu beginnt, kommen Menschen auf die Idee, dass alles Mögliche auch neu starten könnte. Nach dem Motto “jetzt aber” machen sie sich Vorhaben zu eigen, die sie jahrelang nicht verfolgt haben. Im Januar sind die Fitness-Studios so voll wie nie und nie mehr im Jahr werden mehr Abnehmprogramme gestartet als in den ersten Wochen des neuen Jahres. Aber der Januar scheint der Monat des Scheiterns zu sein.
Rituale für das neue Jahr
Der Start ins neue Jahr ist ein weltweiter Initiationsritus. Rituelle Neubeginne haben im menschlichen Dasein eine Jahrtausende alte Praxis. Ein sehr alter Ritus ist vermutlich der Übergang vom Jungen zum Mann und vom Mädchen zur Frau. Hochzeiten, Taufen, Konfirmation, Jugendweihe, fast immer geht es um einen Übergang zu etwas, das als neu charakterisiert wird. Das menschliche Grundbedürfnis die Zeit zu strukturieren ist Ausgangspunkt für diese rituellen Praktiken. Die kosmischen Ereignisse, wie Höchststand der Sonne, Vollmond und Jahreszeiten sind seit Millionen von Jahren die Taktgeber menschlichen Lebens. Im Erleben der Menschen begann ja tatsächlich immer wieder etwas Neues. Etwas, das es zuvor nicht gab.
Nach dem wohligen Aufwärmen von alten Gewohnheiten an Weihnachten, folgt kurz darauf der weltweit verabredete Wechsel der Jahreszahl. Ein Jahr lang hat man sich daran gewöhnt, das Datum mit einer -anfänglich- neuen Zahl zu schreiben. Das ist in der Regel eine leichte Übung, weil kaum Gefühle oder Beschwernisse damit verbunden sind. Trotzdem kann es eine Weile dauern, bis das Schreiben des Datums zur neuen Gewohnheit geworden ist.
“Neues Spiel, ein neues Glück”. So werben alle, die mit dem Glücksspiel ihr Geld verdienen. Allein dass etwas neu beginnt, soll eine Chance eröffnen, dass etwas besser wird als das Vergangene. Ist ja auch klar, das Ergebnis des Vergangenen liegt eindeutig auf der Hand: Pech gehabt. Die Hoffnung, die ja bekanntlich zuletzt stirbt, trägt die Menschen durch die Zeit. So wie das Hauptwerk von Ernst Bloch “Das Prinzip Hoffnung” ins Gelingen verliebt ist und nicht ins Scheitern, so starten jedes Jahr aufs Neue Millionen von Menschen mit guten Vorsätzen. Allerdings rechnen die wenigsten mit der Macht der Gewohnheit.
Gewohnheiten – wichtig für gelingende Veränderungen
Unsere Gewohnheiten sind ein Energiesparprogramm. Hoch automatisiert, lassen sie Platz für relevante Wahrnehmungen und Veränderungen im Moment. Wenn wir Auto fahren, brauchen wir keine Aufmerksamkeit fürs Kuppeln, Bremsen oder Scheibenwischer einschalten. Aber wir brauchen Aufmerksamkeit für die Veränderungen im momentanen Straßenverkehr. Ein Fußgänger, der plötzlich über die Straße will, eine Straßenbahn, die entgegenkommt und so weiter. Die automatisierten Gewohnheiten haben dort ihr Gutes. Sie geben uns Sicherheit. Genauso verhält es sich bei der Morgenroutine. Zähneputzen, Duschen, Haare trocknen, alles läuft ab wie im Schlaf. Wir müssen nicht überlegen, wo die Zahnpasta steht, wo der Föhn liegt. Ein Griff und los geht’s. Es sei denn, das Badezimmer wurde frisch geputzt und nichts mehr steht an seinem Platz. Höchst irritierend und ein wenig ärgerlich.
Dabei ist genau diese Irritation der Schlüssel für neue Gewohnheiten. Es gibt unzählige Tipps für das Gelingen der Neujahrsvorsätze. Aber es gibt auch unzählige Erfahrungen für das Scheitern der Vorhaben. Die Gewohnheit ist widerspenstig und extrem beharrlich.
Gerade beim Vorhaben “ich möchte mich mehr bewegen”, liegt die folgende Logik auf der Hand: Das Energiesparprogramm soll außer Kraft gesetzt werden.
Wie jetzt? Was zuvor gut war, ist jetzt böse? Vielleicht nicht böse, aber doch ziemlich hinderlich.
Kann man der Gewohnheit nicht irgendwie beikommen?
Doch, das geht. Dazu muss man allerdings die Gewohnheit sehr genau kennen. Die Gewohnheit hat nämlich ein Muster das unerkannt im Hintergrund abläuft. Das Muster fängt allerding schon viel früher an, als uns bewusst ist. Aber der Reihe nach.
Nehmen wir an, sie haben zunächst alles richtig gemacht und sich etwas ganz konkret vorgenommen: “Wenn ich nach der Arbeit nach Hause komme, gehe ich zwanzig Minuten spazieren”. Sie haben eine Herausforderung gewählt, die auch gut in ihrem Alltag praktizierbar ist. Was ihnen vielleicht nicht so klar ist, dass das Muster ihrer bisherigen Gewohnheit noch vorhanden ist und – wie gewohnt – mindestens schon beim Einsteigen in ihr Auto beim Nachhauseweg startet.
Was ich ihnen deshalb empfehlen möchte ist ein Perspektiv-Muster. Ein Perspektiv-Muster ist der Entwurf für ihre neue Gewohnheit.
Eine wirksame Methode zur Veränderung von Gewohnheiten
Zur Praxis: Ändern sie etwas an ihrem Nachhauseweg. Beschäftigen sie sich schon im Auto mit den genauen Abläufen des Ankommens. Ändern sie etwas an den Abläufen des Ankommens. Beispielsweise können sie ihren Autoschlüssel in eine andere Tasche stecken als sonst. Ihre Schlüssel können sie an einen anderen Ablageplatz legen als sonst. Sie stellen ihre Tasche ab, nehmen den Schlüssel vom neuen Ablageplatz, rufen kurz “hallo, ich bin in zwanzig Minuten wieder da” und verlassen das Haus. Stellen sie am Tag zuvor schon sicher, dass ihr Partner sie nicht im geplanten Ablauf unterbricht. Unterbrechungen sind Gift für neue Perspektiv-Muster. Deshalb sollte ihr Umfeld über ihr Vorhaben informiert sein, was wiederum die Verbindlichkeit erhöht. Der Vorgang “rein ins Haus” und “raus aus dem Haus” muss minutiös konkretisiert werden. Möglich ist natürlich auch, erst gar nicht ins Haus hineinzugehen.
Alternativ lassen sie ihre Aktentasche im Auto, gehen ihre 20 Minuten, holen die Tasche erst danach aus dem Auto und betreten dann das Haus. Oder noch besser: Halten sie auf dem Nachhauseweg an einer beliebigen Stelle an. Denn allein das Parken auf ihrem gewohnten Parkplatz könnte schon einen Auslösereiz darstellen.
Jedes Perspektiv-Muster sollte mindestens über acht bis zwölf Wochen eingeübt werden. Erst dann ist aus dem Perspektiv-Muster eine neue Gewohnheit geworden. Kurz vor dem Erreichen des Ziels, wenn schon eine gewisse Automatisierung eingetreten ist, gibt es noch einmal eine Gefährdung ins alte Muster zurückzufallen. Hier besonders wachsam sein, wenn sie die Idee haben, dass das ja schon fast eine Gewohnheit ist.
Sie sehen, der Aufwand ist größer als vielleicht gedacht. Die Gewohnheitsmuster haben eine ungeahnte Detailtiefe. Die Konkretisierung der neuen Details hilft aber den Weg ins neue Muster zu beschreiben. Aufmerksamkeit, manche sagen auch Achtsamkeit, ist für die gesamte Trainingsphase unabdingbar. Das legt nahe, dass sie sich zunächst nur eine Änderung vornehmen. Danach darf dann die nächste kommen.
Noch ein Schwenk in die Abläufe der Gesellschaft.
Ja, wir haben eine neue Regierung und die Hoffnungen sind auf diese gerichtet. Deren Vorhaben erfordern auch neue Perspektiv-Muster. Allerdings ist die Zahl der Mitspieler entscheidend größer als bei einem persönlichen Vorhaben. Alle haben eigene Gewohnheiten und manch ein Beamtenapparat hat tief verwurzelte Gewohnheiten.
Organisationen und Systeme haben Gewohnheiten mit einer ungeheuerlichen Detailtiefe. Diese zu ändern ist mindestens eine Herkulesaufgabe.
Glück auf und zu neuen Ufern. Gewohnheitsmuster lassen sich verändern, wenn man die Mini-Impulse versteht, die den Weg in die Automatisierung Bahnen.
Mark Twain hatte dazu schon einen guten Einfall: “Eine Angewohnheit kann man nicht aus dem Fenster werfen. Man muss sie die Treppe hinunter prügeln, Stufe für Stufe.”