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Die Arbeit mit Mustern in Organisationsentwicklungs-Prozessen

​Emotionen bei Veränderungsvorhaben

Veränderungen sind selten einfach. Wo sich – trotz hoher Eigenmotivation – schon die meisten Einzelpersonen schwertun konsequent ihre Gewohnheiten zu verändern, kämpfen Unternehmen noch viel stärker damit ihre Führungskräfte und Mitarbeiter in Bewegung zu bringen und angestrebte Veränderungsprozesse von A bis Z durchzuführen.

Überhaupt ist es ein interessanter Perspektivwechsel, Veränderungsvorhaben mit eingespielten Gewohnheiten der beteiligten Menschen in eine Beziehung zu stellen. Dann wird deutlich, dass es nicht nur um Akzeptanzprobleme, sondern um das Unterbrechen von Automatismen und fest eingeschliffenen Denk-, Fühl- und Verhaltensweisen geht.

Strukturelle Veränderungen

Bei manchen strukturellen Veränderungen, wie beispielsweise der Einführung eines neuen IT-Programms, wo die zwingenden Vorgaben plötzlich für die Erledigung des Tagesgeschäftes unumgänglich werden, kann das Beharrungsvermögen der Gewohnheiten sogar zum Desaster führen. Die Mischung aus Ablehnung des Neuen und das zwangsweise Aushebeln der Gewohnheiten können schnell Umsatz, Liefertreue, Qualitätsansprüche derart aus dem Ruder laufen lassen, dass schnellstmöglich wieder auf das alte System umgestellt wird. Jede Menge Geld und Energie wurde vernichtet.

Und doch gelingen derartige Umstellungen leichter als Einstellungsveränderungen – denn man hat wenigsten den Veränderungszwang durch Strukturvorgaben als Verbündeten. Das erfolgreiche Abholen und Einbinden von Menschen bei Veränderungsvorhaben, ohne strukturelle Zwänge, stellt dagegen den anspruchsvolleren Part dar – wenn etwa eine Veränderung der Einstellung im Umgang mit Qualitätsthemen erreicht werden soll oder eine andere Haltung im Umgang mit Verbindlichkeit angestrebt wird.

Oder auch, die Menschen sollen künftig in einer anderen Form miteinander kommunizieren, sollen etwas verlangen, was Widerspruch erzeugt, sollen mutig über die bisherigen Konventionen hinwegschreiten – alles Dinge, die eine persönliche Herausforderung darstellen. Schließlich spielen hier sehr oft Emotionen eine große Rolle, wie zum Beispiel eine generelle Angst vor Veränderungen, Angst davor, eine gute Position in eingespielten sozialen Netzwerken zu verlieren oder neue Ansprechpartner zu haben.

Zudem schwingen in Äußerungen wie „wir möchten, dass Sie sich verändern“ oder „wir verlangen, dass Sie künftig Ihre Arbeit anders gestalten“ immer Signale mit, die als „Sie haben es bisher nicht gut genug erledigt“ interpretiert werden könnten. Jeder Anspruch auf Veränderung impliziert Kritik an der Vergangenheit. Deshalb ist das beste Sprungbrett für die Zukunft, die Würdigung der Vergangenheit. Nicht „Sie machen es nicht gut genug“, sondern in „die Bedingungen haben sich verändert und darauf müssen wir Antworten finden.“ Auch der Hinweis, dass man schon in der Vergangenheit gute Antworten für veränderte Bedingungen gefunden hat, ist hilfreich.

​Veränderungen unaufgeregt gestalten

​Trotz guter Worte und motivationaler Unterstützung bleiben einerseits diffuse Ängste und andererseits beharrliche Gewohnheiten ernst zu nehmende Umstände, die ein Veränderungsvorhaben zu Fall bringen können.

Sind die Zeichen für Veränderung gesetzt, finden bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern häufig hypersensible Interpretationen sämtlicher Wahrnehmungen statt, ganz gleich, ob diese direkt etwas mit dem jeweiligen Veränderungsprozess zu tun haben oder auch nicht.

Wie kann es also gelingen, Einstellungs- und Verhaltensänderungsprozesse weitestgehend unaufgeregt zu gestalten?

Wir empfehlen ein Set von Grundhaltungen, das unseres Erachtens das Level beunruhigender Emotionen möglichst klein hält:

  • Wir sprechen von Gewohnheiten – und nicht von falschen Haltungen oder Fehlern
  • Wir sprechen von Mustern – und diese sind der Gegenstand der Veränderung
  • Wir wollen ein hohes Maß an Transparenz, Struktur und Orientierung bieten
  • Wir sprechen von einem Lernprozess und geben damit Zeit und Fehlertoleranz
  • Wir reduzieren Komplexität auf einige wenige Gewohnheitsmuster
  • Wir fordern das Schaffen von Ressourcen, indem etwas Bisheriges wegfällt
  • Wir bieten Perspektivmuster® an, die für alle einen attraktiven Zielzustand beschreiben

Muster und Veränderungsvorhaben

Wie bei jedem Veränderungsprozess üblich, brauchen es eine solide Ist-Analyse. Dabei kann man zum Beispiel über Einarbeitungsprozesse Einblick in das System gewinnen oder indem man auf eine spezifischen Art Interviews mit ausgewählten Menschen quer über alle Hierarchieebenen führt. In der Fülle der Informationen kann man nach Gewohnheitsmustern schauen, die in einer wiedererkennbaren Form Verhaltensauffälligkeiten zusammenfassen.

Zum besseren Verständnis, was ich mit dem Begriff „Muster“ meine, nachfolgend eine definitorische Zusammenfassung:

  • Muster sind die Struktur des Erfahrungs- und Erkenntnisprozesses des Menschen.
  • Neue Muster können immer nur auf alten Mustern aufbauen. Unser gesamter Erfahrungsschatz bildet unseren „Musterkatalog“.
  • Muster sind Wiedererkennungs-Vorlagen. Dies ist ihre zentrale Funktion.
  • Muster reduzieren Komplexität, und zwar auf typische Kennzeichen, an denen Ähnlichkeit oder Gleichheit und die Unterschiede dazu identifiziert werden können.
  • Ein Muster ist ein Vergleichsmaßstab, der eine Unterschiedsbildung ermöglicht.
  • Durch das Erleben einzelner alter Musterbestandteile kann im Hier und Jetzt das komplette alte Gesamterleben aufgerufen werden; d.h. einige „herausragende“ Musterbestandteile können das Erleben „versklaven“. (Zum Beispiel hat sich die Führungskraft über Wochen bemüht einen umgänglichen Ton zu finden, ein einziger Wutausbruch und die Mitarbeiter verfallen wieder in ihre alten Gewohnheiten)
  • Muster geben uns eine Hilfestellung, unserem Leben Ordnung und Struktur zu verleihen, indem wir für uns charakteristische Denk-, Gefühlszustände und Verhaltensweisen wiederholen.

Maximal 3 bis 7 Gewohnheitsmuster (aus lerntheoretischen Überlegungen) werden erfasst und jeweils mit einer Reihe von Wiedererkennungsmerkmalen beschrieben. Als Beispiel möchte ich ein Muster beschreiben, das sich in einem Fertigungsbereich zu einem Veränderungsvorhaben zum Thema Qualität herauskristallisiert hat:

Muster: Mangel an Orientierung und Struktur

  • Endloses Tüfteln (Produktivität und Qualität werden einer Leidenschaft geopfert)
  • Planungsprobleme: Mensch – Maschine – Einsetzbarkeit unterliegen keiner geordneten Planung
  • Umgang mit Ausschuss: Lösung ist „wegwerfen“ aber nicht Lernen oder Verändern
  • Individuelle Einlernprozesse: Große Unterschiede und verbreitete Unwissenheit     – Völlig abhängig von Zeit und Engagement des Mentors
  • Kein Gefühl für Qualität     – Mitarbeiter haben keine Ahnung, ob es Reklamationen gibt oder nicht

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​Aus diesen negativen Merkmalen werden dann positive Zielzustände geformt, zusammengefasst in einem sogenannten Perspektivmuster. Ein Perspektivmuster dient als Wiedererkennungsvorlage für einen zu erreichenden Zielzustand, der mit dem Management und den betroffenen Mitarbeitern abgestimmt ist.

Umformungsbeispiel aus den oben dargestellten Mängeln:

Perspektivmuster: Orientierungsstark

  • ​Klare Vorgaben: Was ist positives Tüfteln, was sprengt den Rahmen?
  • Planungsanspruch und Umsetzung realistisch in die Wirklichkeit übertragen     – Einen Gleichklang der Auslastung von Menschen und Maschinen herstellen
  • ​Sensibilität für den Wert des Ausschusses schaffen
  • Einlernprozesse vereinheitlichen
  • Gefühl für Qualität mit den Mitarbeitern entwickeln und vergemeinschaften

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​Zur besseren Übersicht werden die zu überwindenden Gewohnheitsmuster in Form eines „kaputten Hauses“ dargestellt und die Perspektivmuster als wohlgeformtes Haus mit Fundament, Stockwerken und Dach.

Hat sich das Unternehmen entschieden, welche Muster es in welcher Form angehen möchte, startet ein gemeinsamer Lernprozess.

Phase 1: Arbeit mit dem Top-Management

Phase 2: Arbeit mit den Führungskräften

Phase 3: Arbeit mit den Mitarbeitern

Phase 4: Eigenständiges Umsetzen des Unternehmens

​Innerhalb dieser Phasen gestaltet sich der Prozess inhaltlich als top-down Prozess, der nach und nach die verschiedenen Hierarchieebenen integriert.

In den ersten 3 Phasen, die in der Regel ein Jahr dauern, begleiten Berater das Unternehmen intensiv. Vor allen Dingen im Steuerkreis, in den das Top-Management integriert ist, wird immer wieder mit den Mustern gearbeitet und die passenden Lernsettings installiert. Dabei spielen die hinterlegten Verhaltensbeispiele der hinderlichen Gewohnheitsmuster eine zentrale Rolle, um Unterschiede zu generieren.

Es ist erstaunlich, wie stark der Gebrauch des Musterbegriffs bei allen Beteiligten, egal ob Führungskräfte oder Mitarbeiter, zur Versachlichung beiträgt. Gewohnheiten und die dazu gehörenden Muster hat man eben. Viele dieser Muster sind hilfreich, manche hinderlich.

Schuld und Fehler spielen in dieser Begriffswelt keine Rolle.

​Sehr hilfreich ist hierbei, dass in den letzten Jahren immer mehr Wissen aus der Hirnforschung im Allgemeinwissen der Menschen ankommt. Dort bekommen wir vor Augen geführt, dass wir viele eingeschliffene Muster in Form von Automatismen leben. Etliche davon sind archaisch und evolutionsbedingt und in der Regel unserem Bewusstsein verborgen.

​Aber sie sind bewusstseinsfähig und veränderbar. So erfahren wir immer mehr über die Musterbestandteile von Stressdynamiken, und wir gewinnen Einblicke in hilfreiche Verfahren der Musterumgestaltung (siehe auch Artikel von Bernd Taglieber „Von Helden, Führungskräften und anderen Supermännern“ bei Brainguide.

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​Es macht wenig Sinn, Muster brechen zu wollen. Dass das schlecht ausgehen kann, haben wir zu Anfang am Beispiel der Einführung eines neuen IT-Programms gezeigt.

Wer seine eigenen „alten Muster“ nicht schätzt, wird sich bei deren Veränderung schwertun. Sie waren wichtig, und irgendwann waren sie auch mal hilfreich und passend für das Gesamtsystem.

Diese systemische Einordnung von persönlichen und organisationalen Mustern und deren Veränderung öffnet den Blick für einen Lernprozess, der auch Einüben beinhaltet und der Aufmerksamkeit für relativ lange Zeit benötigt.

Taglieber-Neu41

​Es macht wenig Sinn, Muster brechen zu wollen. Dass das schlecht ausgehen kann, haben wir zu Anfang am Beispiel der Einführung eines neuen IT-Programms gezeigt.

Wer seine eigenen „alten Muster“ nicht schätzt, wird sich bei deren Veränderung schwertun. Sie waren wichtig, und irgendwann waren sie auch mal hilfreich und passend für das Gesamtsystem.

Diese systemische Einordnung von persönlichen und organisationalen Mustern und deren Veränderung öffnet den Blick für einen Lernprozess, der auch Einüben beinhaltet und der Aufmerksamkeit für relativ lange Zeit benötigt.

Schnell sind Menschen wieder in ihre alten Muster zurückgefallen, vor allem im Kollektiv, wenn die Aufmerksamkeit schwindet.

Die Herausforderung, mit nicht ausrechenbarer oder exakt planbarer Zukunft im Sinne der Komplexität umzugehen, ist riesig. Umso mehr brauchen wir angstreduzierende Konstruktionen und Begriffswelten, sowohl in der Kommunikation, im Beziehungsaufbau als auch im konkreten Umgang mit den beteiligten Menschen.

Ständig einüben heißt: sich gegenseitig auf Abweichungen aufmerksam machen und dranbleiben – bis die Umgestaltung zu einem neuen Gewohnheitsmuster geworden ist.

Und wer immer noch damit beschäftigt ist, die Zukunft ausrechnen und exakt planen zu wollen, sollte wissen, dass die Kulturelemente einer Organisation Gewohnheiten hervorbringen, deren Beharrungsvermögen immens ist.

Und wie wir schon lange wissen, sollten nachhaltige Veränderung beachten:

​„Process follows Strategy. Organisation follows Process.Culture eats Strategy for Breakfast“

(Alfred Chandler/Peter F. Drucker).

​„Process follows Strategy. Organisation follows Process.Culture eats Strategy for Breakfast“

(Alfred Chandler/Peter F. Drucker).